Kaja Clara Joo

LURKER

20.10. – 25.11.2023

Ausstellungsansicht

Auswahl ausgestellter Werke

Über die Ausstellung

Kaja Clara Joo

LURKER

Die österreichisch-koreanische Künstlerin Kaja Clara Joo (geb. 1991 in Wien) zeigt in der Galerie Smolka Contemporary ihre neue, raumgreifende Installation LURKER. Der Titel ist aus dem Netzjargon entlehnt und bezeichnet Menschen, die in Internetforen oder Chats zwar bei Diskussionen mitlesen, sich aber nicht aktiv an diesen beteiligen. Als „Herumlurker“ versteht man jemanden, der anwesend ist, sich als Instanz aber nicht zu erkennen gibt. Die konkrete Form, Intention und Identität des Lurkers bleibt rätselhaft und im Verborgenen.

 

Wie schon bei zahlreichen vorhergehenden Projekten, unter anderem für die MQ ARTBOX 2021, die SPARK Kunstmesse 2021 (beide mit Smolka Contemporary) oder den Bildraum 07 2022, verfolgt Kaja Clara Joo auch mit diesem neuen Werkkorpus eine Gesamtkunstwerk-Idee, in die das Publikum regelrecht eintauchen soll. LURKER setzt sich aus technisch höchst unterschiedlich ausgeführten Arbeiten zusammen, die inhaltlich alle aufeinander Bezug nehmen. Der Erzählstoff, den die Künstlerin webt, könnte nicht dichter sein: Skulptur, experimentelle Fotografie und Video fügen sich zu einem installativen Gebilde, das um die koreanische Fabelfigur des Bulgasari kreist.

 

Auch dieser Bulgasari ist ein Lurker, er manifestiert sich nicht bildlich, tritt nur fragmentarisch auf, was wiederum mit einem gewissen Horror-Effekt einhergeht. Als „Metallfresser“ und Monster beschrieben und seit Mitte der 1980er-Jahre im nordkoreanischen Trash-Kino als godzillaähnliche, Zerstörung bringende Figur interpretiert, hat Kaja Clara Joo für ihre Idee des Bulgasari im Bereich traditioneller koreanischer Zeichnung recherchiert und ist damit zu den Ursprüngen der Figur zurückgekehrt. Herausgekommen sind unter anderem angedeutete Körperformen, welche die Künstlerin aus Stahl- und Messingblech realisiert und mit essbaren Materialien wie Reis (mit dem der Bulgasari gefüttert wird), Speisegelatine und Essig bearbeitet hat. „Ich mariniere meine Kunst, das ist fast wie fermentieren“, sagt Kaja Clara Joo. Die Umrisse organischer Formen – Gräser und Blätter etwa – die auf den Wald, die Herkunft des Bulgasari, anspielen, werden mittels Fotogrammen auf die metallenen Oberflächen gebracht; traditionelle Motive und künstlerische Praktiken treffen auf High-End-Technik.

 

Umwandlung und Verwandlung spielen eine eminente Rolle im Output von Kaja Clara Joo. In ihren Arbeiten geht es um das Sichtbarmachen von zeitlichen Abläufen und Prozessen, zum Beispiel mit Oberflächen-Reaktionen, wie es ja auch im Grunde der Fotografie eingeschrieben ist: „Zeit“ als lineares, eindimensionales Konzept wird permanent hinterfragt. Sowohl Technik und Medium als auch Erzählhaltung und -perspektive sind in ständiger Wandlung begriffen. Dies erklärt sich einerseits aus der Biografie der Künstlerin. Teilweise in Korea aufgewachsen, versteht Joo die Gegenwart als stark von Geschichte und Tradition durchdrungen. „Meine Großmutter hat, wenn ich krank war, Kräuter aus dem Garten geholt und mir damit einen Tee gekocht“, erzählt sie. „Bei einem unserer Ausflüge habe ich in einem Tempel einmal eine Bulgasari-Wandbemalung gesehen, die den Tempel vor Einbrechern schützt.“ Eigene Lebensgeschichte und Erfahrungen sowie kulturelle Prägung fungieren wie ein Repertoire, aus dem Joo für ihre künstlerische Arbeit schöpft. Ihr ist es aber auch wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass Geschichte und Geschichten nicht nur mit einer Stimme und von einem Standpunkt aus, sondern divers erzählt werden kann und muss.

 

Dieses Anliegen manifestiert sich besonders deutlich in der Vier-Kanal-Videoinstallation Long Durée in der Mitte des Raumes. Auf Stahlrohren sind mehrere Screens montiert, eine Geschichte entfaltet sich: Ein junges Paar fährt nachts im Auto, ein heftiger Streit entbrennt. Grund für den Disput ist die Behauptung der Protagonistin, sie habe im Wald ein seltsames Wesen gesehen. Als die Situation eskaliert, steigt die Frau aus dem Auto aus und beschließt, sich auf die Suche nach der Kreatur zu machen. Der Weg führt über eine Böschung, die Protagonistin verliert den Halt und rutscht aus, im freien Fall wechselt sie Alter, Aussehen, Geschlecht und Ethnie. Hinter Blattwerk und Bäumen wird immer wieder die Silhouette des Wesens, das sie sucht – den Bulgasari – angedeutet. Schlussendlich befindet sie sich wieder im Auto ihres Partners und die Story kehrt zum Ausgangspunkt zurück und beginnt erneut.

 

Umgeben wird die Videoinstallation von den bereits angesprochenen Metallformen, dem Bulgasari Manual, um die Ahnung, welche die Protagonistin der Videoarbeit antreibt, auch in den Raum zu holen. Puzzlehafte Fragmenten deuten das „Wesen“ jedoch nur an. Zähne und Ohren, ein Schwanz, zwei Tatzen – was versteckt sich da? Dem Publikum wird so eine fast körperliche Erfahrung, die sich irgendwo zwischen Neugier, Spuk und Zweifel abspielt, verschafft. Die Lust an der großen Erzählung und dem Experimentieren mit Erzähltechniken wird nicht nur im Video-Display und den Metall-Skulpturen greifbar, sondern manifestiert sich auch in einer Reihe von Zeichnungen sowie im großformatigen Fotogramm Coup IV. Zu sehen sind die Umrisse von Tragegurten, die von der Künstlerin auf Aluminium aufgebracht wurden, bildmittig verschwimmen diese schemenhaften Bänder bzw. reißen ab. Auch die Woll Drawings I-V, für welche die Künstlerin Zeichnungen auf analoge Fotografie setzt, thematisieren Unterbrechungen und Rückwärtsbewegungen von stringenten Linien und können so als poetischer Verweis und Plädoyer für multiperspektivisches Erzählen gelesen werden. Gleichzeitig meint man auch hier immer wieder Körperteile, Haare oder Fell des mystischen Wesens ausmachen zu können.

 

Die Auseinandersetzung mit der Bulgasari-Figur holt eine alte Geschichte ins Jetzt und betont ihre Aktualität, indem Gefühle von Unbehagen und Umheimlichkeit, aber auch Vertrauen, Mut und (Un)Sichtbarkeit thematisiert werden. Es gibt keine Stringenz, keine Eindimensionalität mehr: Gesprochen und fabriziert wird mit verschiedensten Stimmen und Materialien, ein regelrechter narrativer Sog entsteht. Natürlich liegen dem Projekt konzeptuelle Überlegungen zugrunde, LURKER entfaltet aber ebenso eine unwiderstehliche materielle und narrative Sinnlichkeit, die sich auch ohne Hintergrundwissen erschließt. Die Künstlerin zielt vor allem auf die zeitliche Ebene, und weicht diese auf; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft scheinen zusammenzufallen. Alles passiert gleichzeitig – ein zeitgenössisches Phänomen und Gefühl, das uns seit einigen Jahren begleitet, man denke nur an das Prinzip des Multitasking, das uns unter vordergründiger Effizienz dazu treibt, mehrere „Dinge“ gleichzeitig zu tun während man Gefahr läuft, Fokus und Prioritäten zu verlieren. „Gleichzeitigkeit“ wird auch in der Popkultur zelebriert, etwa beim Oscar-prämierten Kinofilm Everything Everywhere All at Once von 2022, in dem sich die Protagonistin, gespielt von Michelle Yeoh, in einem Multiversum wiederfindet und darin „herumreisen“ kann. Wie in diesem Film scheint auch bei Kaja Clara Joo die althergebrachte diachrone Zeitachse vom synchronen Strudel der Ereignisse hinweg gerissen zu werden. In LURKER durchdringen sich Medien wie Sinneseindrücke, das Projekt ist eine regelrechte Ganzkörpererfahrung. Die Künstlerin beweist damit erneut ihre Qualität als eindrucksvolle Geschichtenerzählerin, die einen uralten Plot, der nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, mit historischen wie zeitgenössischen Techniken und unserer digital dominierten Alltagswelt verschmelzen lässt.

 

Lisa Ortner-Kreil
Kuratorin, Bank Austria Kunstforum Wien

 

Zur Künstlerin:
Kaja Clara Joo wurde 1991 in Wien geboren und wuchs in Korea und Österreich auf. Sie lebt und arbeitet in Wien und Neulengbach. Joo studierte an der Universität für Angewandte Kunst Wien von 2020–21 TransArts bei Roman Pfeffer und von 2015–24 Fotografie bei Gabriele Rothemann. Seit 2018 zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland. In ihrer künstlerischen Arbeit beschäftigt sich Kaja Clara Joo vor allem mit der Untersuchung kultureller und sozialer Verhaltensweisen, die sie medienübergreifend umsetzt.

Ort

Lobkowitzplatz 3, 1010 Wien

Wann

20.10. – 25.11.2023

Künstler*innen

Katalog